Unkategorisiert

Wie kann ich als Führungskraft innovatives Denken verhindern?

Innovatives Denken verhindern

“Wir müssen innovativer werden. Machen Sie mal was, damit sich da was verändert! Mehr kreative Ideen, mehr Austausch, mehr ‘über den Tellerrand sehen'”

Ein gar nicht seltene Anfrage an uns Teamcoaches.

Mit großer Begeisterung las ich einen Artikeln von John Kounios – Psychologe und Neurowissenschaftler, und Yvette Kounios – Wissenschaftsjournalistin – in der neuen Ausgabe des Scientific American: “The Wonder of Insight” (Das Wunder der Einsicht/Erkenntnis).

Wie funktioniert es, wenn Menschen neue, grundlegend andere Ideen und Lösungen, ‘Out-of-the-Box’ finden? Was muss in Menschen passieren, was im Umfeld, was in den Innovationsprozessen und -formaten, um dies zu fördern? Wie können Führungskräfte Innovation unterstützen? Wie schaffe ich als Unternehmer eines der ersehnten Unicorne und werde somit berühmt, zufrieden und reich?

Meine Take-aways

Ich habe aus der zitierten Veröffentlichung fünf zentrale Take-aways mitgenommen. Führungskräfte, die Innovation, vernetztes Denken und Handeln, ‘über den Tellerrand sehen’ und generell Kreativität fördern wollen, sollten diese berücksichtigen.

Take-away 1: Es gibt neurowissenschaftlich zwei unterschiedliche Modi der Lösungssuche

Die Autoren unterscheiden zwei Modi des Nachdenkens über Probleme und Lösungen, in denen unser Gehirn nicht gleichzeitig sein kann.

Im analytischen Modus werden Erfahrungen und bekannte Vorgehensweisen systematisch aktiviert und genutzt, um ein Problem zu lösen – nach Bedarf auch intuitiv. Der Löwe der Urzeit, den ich beim Jagen 200 m entfernt erkenne, aktiviert in mir diesen Modus. Ich analysiere den Wind, das Gelände und finde mit meiner Erfahrung als Jäger den optimalen Weg, der Gefahr zu entkommen. Zur Ausführung aktiviere ich Muster (Fight, Flight or Freeze).

Anders dagegen im innovativen, kreativen Modus. Lösungen entstehen quasi aus dem Nichts, durch Loslassen, durch Verknüpfung ganz unterschiedlicher Ideen und Gedanken. Ein Eschenast bewegt sich im Wind, ein paar Tiersehnen auf dem Müllhäufchen, spitze Steine? Es kommt zu einem Aha!-Moment. Lösungsideen, die Steinzeitjäger weiterbrachten, wissenschaftlich zu einem Nobelpreis oder ökonomisch zu einem Unicorn führen, entstanden wohl fast immer so. Die erfolgreiche Lösungsumsetzung, die Exekution eines erfolgreichen Unicorns erfordert übrigens dann wieder den Modus der analytischen Lösungssuche.

Manche Menschen tendieren eher zum analytischen Modus, manche eher zum innovativen, kreativen Modus. Neurowissenschaftlich nachweisbar: im Ruhezustand (sprich: aktuell werden keine Lösungen gesucht) sind je nach Prädisposition unterschiedliche Gehirnregionen stärker. Und in den tatsächlichen Aha!-Momenten des innovativen, kreativen Modus werden dann Gehirnregionen aktiviert, die stark assoziiert sind mit der Vernetzung scheinbar unabhängiger Konzepte, Metaphern, der Essenz der Kommunikation etc.

Die Neurowissenschaft sagt uns, dass wir nicht gleichzeitig in beiden Modi sein können. Entweder analytisch oder innovativ/kreativ. Die individuelle Prädisposition für einen Modi und Denkgewohnheiten können mit aber mit geeigneten Methoden verändert werden. Sprich: wir können als Coach und Führungskraft Menschen für Kreativität und echte Innovation öffnen.

Take-away 2: Situation und Umfeld stärken einen der beiden Modi der Lösungssuche

Kehren wir zum Löwen zurück. 200 m entfernt. Stress, Fokus, hohe Zielorientierung (sprich: Überleben!). Es wird fast unausweichlich der Modus der analytischen Lösungssuche aktiviert. Im Anschluss werden automatische, erfahrungsbasierte Verhaltensmuster ausgeführt. Übertragen – in Unternehmen können noch so viele Innovationspreise und -postkörbe nichts verändern. Stress, Fokus und hohe Zielorientierung blockieren den innovativ/kreativen Modus.

Dagegen kann der innovative/kreative Modus am Lagerfeuer, beim ruhigen Loslassen von Stress, Fokus und Zielorientierung bei Gesprächen in der steinzeitlichen Höhle aktiviert werden. In einem sicherer Raum, um unzusammenhängende Dinge und Ideen zusammenzuführen. Um ohne Druck und Stress Überzeugungen loszulassen und im ruhigen Schwingen dieser Gedanken plötzlich … Aha!

Wie genau die Erfindung von Pfeil- und Bogen entstand, lässt sich wissenschaftlich wohl nicht mehr nachweisen. Ich vermute aber, dass Pfeil und Bogen nicht während des Jagens, sondern eher in Momenten der Ruhe, der Gelassenheit, der Sicherheit und des Loslassens erfunden wurden. Genauso wenig wie die Aha!-Idee Deines zukünftigen Unicorns beim Jagen (unter Stress, Leistungsdruck, hoher Geschwindigkeit) entstehen wird.

Take-away 3: Aha!-Momente aktivieren Stolz, Zufriedenheit und Bindung

Ein weiterer, relevanter Aspekt des innovativen, kreativen Lösungsmodus: nach einer Lösungsfindung, nach einem Aha!-Moment entsteht ein starkes Gefühl der Zufriedenheit, des Stolzes und der Zugehörigkeit. Entsprechende Gehirnregionen (Belohnungszentren) werden nachweislich im innovativen, kreativen Modus aktiviert – nicht aber im analytischen Modus.

Der Pfeil- und Bogenerfinder wird sich im Moment nicht gedacht haben, prima: “25 kg Fleisch im Jahresbonus, Zielerreichungs-KPIs bei 110 %, jetzt kann ich mich entspannt zurücklehnen”. Eher: “wow, höhere Überlebenschancen für unsere Jäger, mehr Beute, weniger Hunger für unsere Frauen und Kinder, ich liebe es, ich bin Teil davon”. Serotonin wird ausgeschüttet.

Für Führungskräfte ist dieser Aspekt nicht zu vernachlässigen. Der Nutzen davon, echten Raum für Innovation zu schaffen, ist mehr als nur die Innovation selbst. Raum für Innovation erhöht Zufriedenheit und Mitarbeiterbindung ebenso wie positive Energie, die dann wiederum hilft, innovative Lösungsideen auch umzusetzen.

Take-away 4: Die innovative Lösungssuche ignoriert Grenzen und Glaubenssätze

Wirklich innovative Lösungen machen oft Ungeglaubtes möglich, ignorieren Grenzen, gehen neue Wege und lösen sich von Gewohntem und Glaubenssätzen. Festhalten und Erfahrung nutzen, bringt uns in den analytischen Modus, Loslassen und andere Perspektiven einnehmen in den innovativ/kreativen Modus.

Für die Führungskraft bedeutet dies, dass gewisse Fragestellungen und Gedanken den innovativ/kreativen Modus blockieren:

  • Wie können wir die bestehenden Produkte ergänzen oder verbessern?
  • Was müssen wir in unserer Organisation, unseren Prozessen verändern?
  • Dies und jenes funktioniert nicht! Unser Geschäft läuft so und so!
  • Ist zu teuer! Machen unsere IT-Systeme nicht! Der Betriebsrat! Regulierung!
  • Unausgesprochen als individueller Mitarbeiter: was ist meine Rolle in der Lösung?
  • Der Rest der Organisation ist wie er ist, wir müssen in dem Rahmen leben

Führungskräfte könnten durch einen anderen Rahmen (Offsite), durch Framing in der Kommunikation, durch geschickte Methoden und durch sehr bewusste Formulierungen Innovation fördern – oder verhindern. Unserer Erfahrung nach hilft es manchmal, die in Individuen und Teams verankerten Grenzen und unbewussten Glaubenssätze an die Oberfläche zu bringen und sich dann bewusst von ihnen zu verabschieden.

Take-away 5: Monetäre oder andere extrinsische Anreize motivieren nicht, in den Modus der innovativen Lösungssuche zu gehen

Wie kann ich nun den Modus der Lösungssuche meiner Mitarbeiter als Führungskraft beeinflussen? Wie kann ich insbesondere in meinem Team in den innovativen, kreativen Modus fördern?

Die Autoren zeigen, dass sowohl Zuckerbrot (monetärer oder symbolischer Bonus) und Peitsche (Deadlines, Druck, KPIs) tendenziell Mitarbeiter und Teams unbewusst in den analytischen Modus bringen. Somit ist ein Bonus für Innovation oder KPIs (“welches Team hat die meisten Ideen eingebracht”) nachweislich nicht nur nicht förderlich, sondern sogar schädlich.

Unsere Handlungsempfehlung

Wir empfehlen Unternehmen und Führungskräfte folgendes Programm, um Innovation, Kreativität und vernetztes Denken zu fördern:

  1. Erstens sollte Bewusstsein bei Führungskräften und Mitarbeitern für die beiden Modi geschaffen werden. Schließlich ist ja auch der analytische Modus im täglichen Geschäft ja oft gewünscht und notwendig. Bewusst (achtsam) entdecken, welchem Modus man gerade denkt, ist der erste Schritt, mehr Innovation zuzulassen und fördern.
  2. Zweitens sollte die Führungskraft darauf achten, dass eine Teamdynamik entsteht, die von Sicherheit und Vertrauen geprägt ist, ein “Circle of Safety”. Siehe hierzu unsere Gedanken zu Lencionis “5 Dysfunctions of a Team”. Wenn unter der Oberfläche Angst, Wut oder Stress vorherrschen, wird sich der innovative, kreative Modus ebenfalls nicht aktivieren lassen. Mitarbeiter und Führungskräfte sind dann im analytischen Modus, mit Fokus auf individuellen Zielen.
  3. Weiter zeigt der Artikel, dass das emotionale Umfeld und eine individuelle, positive Stimmung der Mitarbeiter dazu führen kann, dass auch Mitarbeiter, die eher zum analytischen Modus tendieren, zur anderen Seite wechseln und den innovativen, kreativen Modus zulassen.
  4. Schließlich sollten formelle (Innovation-Offsites) und informelle Strukturen der Kommunikation geschaffen werden, um Raum zu geben für kreative Ideen und einen Dialog ‘out of the box’. Geeignete Formate können den innovativ/kreativen Lösungsmodus stärken und echte Innovation fördern.

Wenn Führungskräfte und Unternehmen dieses Programm umsetzen, dann ist schon viel getan. Falls es dann überhaupt noch notwendig ist (wir glauben: nein), dann macht ein Junior-Berater des vom Unternehmen präferierten Beratungsunternehmens gerne Vorschläge für Innovations-Prozesse, -Postkörbe und -Wettbewerbe. Dabei sollten Führungskräfte beachten: Echte Innovation und vernetztes Denken ist mental immer eine Gratwanderung zwischen den Modi. Die Gefahr des ‘Absturzes’ in den analytischen Modus ist immer gegeben.


Interessiert an mehr?

Wir bieten einen Newsletter an, um in prägnanter, praxisorientierter Form aus unser Arbeit heraus Denkanstöße, Konzepte, Führungsinstrumente und Erfahrungsberichte weiterzugeben.

Die nächsten, bereits geplanten Inhalte im Jahr 2025 sind:

▶️ Im Mai das Thema „Empathie – wirksames Führungsinstrument oder Psycho-Puderzucker über unzureichende Performance?“

▶️ Im Juni dann ein neues Instrument der Führungskräfteentwicklung unter dem Titel: „Eine vollständige Themenlandkarte für Persönlichkeitsentwicklung, Führungskräfteentwicklung und Teamentwicklung“

Frequenz: maximal einmal pro Monat. Format: E-Mail, um unabhängig von den Zufälligkeiten des LinkedIn-Algorithmus die von euch zu erreichen, die sich wirklich für die Inhalte interessieren.