Zwischen Führungskräften sind Rollenspiele leider nicht unüblich. Das wahrscheinlich etablierteste, typischste Muster ist das sogenannte Dramadreieck mit den dazugehörigen psychologischen ‚Spielen‘:
- Die Menschen im Dramadreieck (die Rollenspieler) nehmen Rollen ein, typischerweise Opfer, Täter und Retter.
- Diese Rollen sind eine Zeitlang stabil. In Schlüsselsituationen wechseln die Rollenspieler plötzlich dann in andere Rollen. Meist sehen wir in diesen Momenten starke emotionale Dynamiken.
- Eine negative Endauszahlung, sprich: Das Endergebnis dieses Prozesses ist oft ein Scherbenhaufen – Vertrauen und Geschäftsbeziehungen sind zerstört, Unternehmen verlieren ihre Marktposition bis hin zu Verkauf oder Insolvenz.
Beispiel:
In einem größeren Unternehmen gibt es Spannungen zwischen den Abteilungsleitern ‚Vertrieb‘, ‚Produktentwicklung‘ und ‚Finanzen‘ (wir schreiben im Folgenden ‚Vertrieb‘ statt ‚die Führungskraft der Vertriebsabteilung‘ etc.).
- Vertrieb (Täter) greift regelmäßig Produktentwicklung (Opfer) an, scheinbar sachlich, zwischen den Zeilen ist aber eine starke emotionale Abwertung spürbar.
- Produktentwicklung beklagt sich bei Finanzen, bleibt aber zurückgezogen in der Opferrolle. Finanzen stellt sich auf die Seite der Produktentwicklung (Retter).
- In einem Führungskräftetreffen werden ‚Schuldige‘ für über schlechte finanzielle Zahlen gesucht. Es kommt zum Rollenwechsel: Produktentwicklung explodiert emotional, greift aber nicht Vertrieb an, sondern Finanzen. Auch Vertrieb kritisiert nun Finanzen.
- Das Führungsgremium ist paralysiert, Ideen, das Unternehmen zu stabilisieren, werden nicht mehr gesucht. Die negativen Auszahlungen: Das Unternehmen wird 6 Monate später an einen Wettbewerber verkauft. Aufgrund der hohen psychischen Belastung treffen sich Vertrieb und Produktentwicklung 9 Monate später in einer Burnout-Klinik.
Ähnliche Beispiele finden sich im Privaten, beispielsweise Opfer und Retter in einer Beziehung, als Täter fungiert ‚die ungerechte Welt‘. Der Retter steckt über eine lange Zeit zurück, um das Opfer zu schonen. Bis er nicht mehr kann, dann explodiert er – wird zum Täter, das Opfer sagt („habe ich schon immer gesagt, die Welt ist böse, du auch“). Die Beziehung geht in die Brüche.
Was passiert auf der psychologischen Ebene? Fühlen wir in Teamworkshops oder im Coaching tiefer in diese Situationen hinein, stellen wir Folgendes fest:
- Es gibt verdeckte, nicht kommunizierte Bedürfnisse der Rollenspieler:
- Im Beispiel möchte vielleicht Vertrieb stark und dominant sein, Schwäche zeigen ist nicht OK. Der Wunsch ist dann positive Bestätigung der Stärke zu erhalten. Die Angst vor Schwäche führt als unbewusste Ersatzhandlung zu kontinuierlichen Angriffen auf Produktentwicklung.
- Produktentwicklung möchte gefallen, Gutes tun, als Mensch ankommen – auch mit seinen Ergebnissen. Ein starkes unbewusstes ‚ich bin nicht OK‘ bringt Produktentwicklung dazu, die Situation und die Angriffe als negative Bestätigung von sich selbst zu interpretieren. Reaktion: die Suche nach einem Retter, der positiv bestätigt. Im Beispiel: Finanzen.
- Finanzen fühlt sich schlecht, wenn er nicht aktiv ist. Als ‚Anhängsel‘ des ‚eigentlich wichtigen operativen Geschäfts‘ fühlt er sich minderwertig. Er möchte dazugehören. Da kommt das Angebot von Produktentwicklung ‚rette mich‘ gerade recht.
- Diese Muster wiederholen sich im Leben der Rollenspieler:
- Vertrieb und Produktentwicklung werden nicht das erst mal in ihrer professionellen Laufbahn Täter und Opfer sein. Der Retterinstinkt von Finanzen ist diesem ebenfalls schon bewusst.
- Aber alle drei landen in jeder beruflichen Station unweigerlich wieder in diesem Rollenspiel.
- Die so gewonnenen negativen Erfahrungen verstärken die nicht kommunizierten Bedürfnisse der Rollenspieler – in der nächsten Führungsposition wird Vertrieb noch stärker und dominanter sein wollen, Produktentwicklung noch besser, Finanzen noch aktiver.
- Die Rollenspieler sind in großen Teilen des Spiels auf ‚Autopilot‘. Kommunikation und Verhalten wird von den unbewussten, unerfüllten Bedürfnissen bestimmt. Und nicht von den Chancen, den die drei Rollenspieler hätten, würden sie das Rollenspiel verlassen und aus einer gemeinsamen Perspektive die Situation betrachten.
Ein etabliertes Dramadreieck zu durchbrechen ist im privaten genauso schwer wie im beruflichen. Warum? Zwei Gründe:
- Die immer wiederkehrende negative Auszahlung der Spiele bestätigt die Rollenspieler in ihrem Blick auf sich selbst (du bist nicht OK, aber sei stark, gefalle oder sei aktiv, vielleicht wird es dann besser). Ein Verlassen des Spiels würde zu einer sehr starken und somit unangenehmen kognitiven Dissonanz führen („Das kann doch gar nicht sein, was mache ich hier?“)
- Die Denk- und Verhaltensmuster, die ‚Autopiloten‘ haben oft Ursprünge in der Kindheit und Jugend und sind somit stark und schwer veränderbar in unser Unbewusstes ‚eingebrannt‘.
Wie findest Du nun einen Ausweg aus dem Rollenspiel, aus dem sogenannten Dramadreieck? Eine pauschale Antwort ist schwierig, dazu sind die Hintergründe und Prägungen von uns allen viel zu verschieden. Notwendig sind aber alle folgenden Ansätze:
- Verstehe und benenne die Rollen, die Du und andere in Deinem Umfeld spielen. Beobachte Dich selbst offen und ehrlich. Versuche, Dein Rollenspiel nicht zu verdrängen oder zu ignorieren. Dies verstärkt nur die ‚Autopiloten‘.
- Erkenne die verdeckten, unausgesprochenen Bedürfnisse, die Du hast und gestehe sie Dir zu. Ein Coach kann helfen.
- Überlege, was du tun kannst, um deine Bedürfnisse zu erfüllen. Suche Ressourcen außerhalb, die dich als Mensch bestätigen.
- Schaffe einen Rahmen für eine offene Kommunikation zwischen den ‚Noch-Rollenspielern‘, dafür, dass auch Schwäche gezeigt werden darf. Dies kann durch Coaching in kleinen Runden oder durch Teamworkshops unterstützt werden.
- Bringe die verdeckten, unausgesprochen Bedürfnisse ins Rollenspiel und breche dadurch aus dem Rollenspiel aus.
- Sei konsequent und diszipliniert. Wenn einer der früheren Rollenspieler in die alten Muster zurückfällt und spreche Deine Beobachtung sofort aus – warte nicht.
Im Beispiel des oben skizzierten beruflichen Rollenspiels könnte folgende Situation entstehen:
Vertrieb beobachtet, dass Margen und Umsätze nicht den Zielen entsprechen. Er fühlt sich schlecht, und kann dieses Gefühl einordnen. Im nächsten Meeting entsteht folgender Dialog:
- V: „Ich fühle mich unter Druck, Margen und Umsätze gehen zurück. Ich kann diese Schwäche von mir und meinem Team noch nicht genau einordnen, höre aber dies und jenes von unseren Kunden.“ Im Moment des Aussprechens fühlt V in sich eine paradoxe Leichtigkeit, und trotz Angst um den Erfolg wieder Energie.
- P reagiert: „Ich strenge mich an, etwas Gutes zu tun für unsere Kunden und für uns, und fühle mich gerade enttäuscht und hilflos.“ Er sieht die beiden anderen an, und spürt offenes Interesse und Neugier – und fühlt sich plötzlich viel stärker dazugehörig. Positive Energie entsteht.
- F bringt ein: „Ich beobachte die Situation seit einer Weile. Ich habe mich immer als 3. Rad am Wagen gefühlt, schließlich zahlt ja das operative Geschäft unsere Gehälter. Ich möchte aber aktiv zu unserem Erfolg beitragen.“
- V und P reagieren fast gleichzeitig: „Jeder von uns trägt zu unserem Erfolg bei. Wir beide genauso wie Du, Finanzen.“ Finanzen spürt die Aufrichtigkeit der Aussage, ist stark berührt und fühlt trotz der misslichen Lage ebenfalls optimistische Energie.
- …
Wie geht es weiter? Nun ja, das Führungsteam intensiviert die Zusammenarbeit. Statt einem kurzen wöchentlichem Call und Beschwerden hinten herum trifft es sich wöchentlich zu intensiven, hitzigen, kontroversen und wertschätzenden Abstimmungen auf Sachebene ebenso wie zu Gesprächen über Emotionales.
Produkte werden auf konsequent auf Kundenbedürfnisse ausgerichtet, Profitabilität der großen Kunden stabilisiert, Produktqualität erhöht sich, große Kunden werden gewonnen. Der Markt nimmt eine Veränderung wahr.
6 Monate später hat sich das Unternehmen eine führende Position auf dem Markt erarbeitet und übernimmt einen großen Wettbewerber. 9 Monate später ist ein Programm zur Führungskräfteentwicklung etabliert, welches die hohe Relevanz der emotionalen Anteile der Gruppendynamik berücksichtigt, bspw. im Bereich Kommunikation, Konfliktmanagement und Führung.
Die Mannschaft spürt den Zusammenhalt der drei Führungskräfte und deren positive Energie und ist begeistert. Die Kultur der Offenheit, Orientierung auf den Erfolg, auf die Sache wächst in das Unternehmen hinein – und nicht nur: Die Personalabteilung wird überrannt von Top-Bewerbern, die Teil dieser Kultur werden wollen.
Und all das nur, weil die Führungskräfte das Dramadreieck, das Rollenspiel erkannt und verlassen haben.
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